Goldene Zeiten: Kluger Rat – Notvorrat

Von Ivo Bachmann*

Das Coronavirus hat so manches in unserem Leben durcheinandergebracht. Zum Beispiel unsere Einkaufsgewohnheiten. Einige Leute hamstern, was das Zeug hält und die Taschen tragen: Klopapier, Reis, Mehl, Zucker … In den Supermärkten sind gewisse Regale wie leergeräumt. Vor allem Desinfektionsmittel und Schutzmasken fehlen. Hätte man doch früher diesen Fall der Fälle bedacht.

Hamsterkäufe: Genau dies wollten die Bundesbehörden nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung verhindern. Alle zwingend notwendigen Rohstoffe, Lebensmittel und Medikamente sollten fortan in grossen Reservelagern gebunkert, das individuelle Überleben durch genügend persönliche Vorräte an Nahrungsmitteln gesichert werden.

So empfahl der 1954 gegründete Zivilschutz zur «Überlebenssicherung in Schutzräumen» einen ständigen Notvorrat an Fertignahrung; künftig sollten Fleisch- und Fischkonserven, Schachtelkäse, Biskuits, Zwieback und Schokolade in Vorratskammern gelagert werden. Bis in die 1980er Jahre erinnerte das zuständige Bundesamt für wirtschaftliche Landesverteidigung (nun Landesversorgung, kurz: BWL) die Bevölkerung regelmässig an diese Form der Vorsorge. Der Bund verschickte millionenfach gedruckte Bücher und Broschüren in alle Haushaltungen.

Etwa das Handbuch «Zivilverteidigung» – ein behördlicher Aufruf zur zivilen Kriegs- und Krisenvorsorge, verfasst in hoher patriotischer Aufwallung. Das Büchlein wurde 1969 von der Eidgenossenschaft an alle Haushalte abgegeben, und sein Inhalt erregte viele Gemüter. Die Bundesbehörden wollten der «allgegenwärtigen Bedrohung» durch Kriege, Krisen und Katastrophen eine «umfassende Abwehr» entgegenstellen – durch die Schaffung einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Landesverteidigung, welche die Tätigkeiten von Armee und Zivilschutz ergänzen sollte. Man müsse jederzeit «auf alles gefasst» sein. «Wenn nötig», so stand hier zu lesen, «stehen die Männer im Wehrkleid Wache und kämpfen unter dem Einsatz ihres Lebens.» Den Frauen war die dienende Rolle zugedacht: «Die Armee (…) braucht auch viele helfende Hände und viel seelische Kraft. Die Aufgabe der Frau im Krieg ist es, Leben zu erhalten.»

Zum Beispiel durch das Anlegen von Nahrungsmittelvorräten. «Streiks, Revolutionen, politische Spannungen an irgendeinem Ort der Erde» stellten nämlich eine «ständige Gefahr» dar, weil sie die Versorgung unseres Landes mit lebenswichtigen Gütern unterbrechen könnten. Um darauf vorbereitet zu sein, empfahlen die Behörden als «eisernen Bestand» für jede Person im Haushalt: 2 kg Reis/Teigwaren, 2 kg Zucker, 1 kg Speisefett, 1 l Speiseöl; ausserdem ausreichend Suppen-, Milch-, Frucht-, Fleisch- und Fischkonserven sowie ein Lager an Seife, Waschmitteln und Brennstoffen. Alle seien aufgerufen, ihr Möglichstes zu tun, schrieben die Verfasser der eidgenössischen Zivilverteidigung: «Auch wenn Ihre Wohnung sehr klein ist, lässt sich mit etwas Phantasie ein an die Wand gehängter Harass, eine Türfüllung oder die ungenutzte Ecke eines Zimmers so verwandeln, dass Sie Ihre Vorräte stets zur Hand haben.»

Seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch alter Feindbilder werden die Broschüren zur Notvorsorge nicht mehr flächendeckend verschickt. Immerhin lässt sich auf der Website des BWL noch ein aktualisiertes Merkblatt herunterladen («Kluger Rat – Notvorrat»¹). Es enthält auch eine nützliche Checkliste für den persönlichen Vorrat. Der Speiseplan ist neuzeitlicher geworden, die Menge etwas kleiner. Und für die Hausapotheke in Notzeiten werden inzwischen nicht nur Seife und WC-Papier, sondern auch Desinfektionsmittel, Hygienemasken, Einweghandschuhe und persönliche Medikamente empfohlen.

Hätte man dies doch etwas früher gewusst.

1 bwl.admin.ch/bwl/de/home/themen/notvorrat.html
Foto: Schweizerisches Sozialarchiv

* Ivo Bachmann ist Geschäftsführer von bachmann medien ag, die auch das Visit redaktionell begleitet. Er war zuvor unter anderem Chefredaktor des «Beobachters » und der « Basler Zeitung ».

 

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