Von Ivo Bachmann*
Die Welt, so scheint es, wird sozialer. Social Media hier, Social Media da: Immer mehr moderne Menschen «socializen», was das Zeug hält, rund um die Uhr, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Rasch noch ein Posting auf Facebook machen, kurz einen Gedankensplitter in Twitter tippen, husch ein paar Bilder auf Instagram laden, subito ein Filmchen auf YouTube stellen – und dann noch all die WhatsApp-Nachrichten beantworten, die seit dem jüngsten Facebook-Posting eingegangen sind … Die neue Welt hält uns ganz schön auf Trab.
Schade nur, dass ob all der digitalen «Freundschaftspflege» zunehmend die Zeit zu fehlen scheint für eine ganz reale, persönliche Begegnung, für ein wirklich gutes und tiefes Gespräch im kleinen Kreis, für die Sortierung von Gedanken, bevor sie als Geistesblitz über den 280-Zeichen-Horizont das Twitter-Universum erreichen.
Doch wovon reden wir überhaupt? Social Media (oder auf Deutsch: soziale Medien) sind digitale Methoden, die es den Nutzerinnen und Nutzern erlauben, sich im Internet zu vernetzen und auszutauschen, mediale Inhalte zu erstellen und weiterzugeben. Der Medienkonsument wird zum Medienproduzenten – ein grundlegender Unterschied zum Sender-Empfänger-Modell der klassischen, analogen Medien in Print, TV und Radio.
Diese neue Technologie hat tolle Sachen ermöglicht: etwa Wikipedia, die weltweite Wissensdatenbank, die von freiwilligen Expertinnen und Experten alimentiert, kritisch überprüft und laufend aktualisiert wird. Oder die Mobilisierung basisdemokratischer Bewegungen in totalitären Systemen. Sie führt umgekehrt aber auch dazu, dass viele Menschen sich oft nur noch in ihrer eigenen Interessensphäre und Gesinnungswolke bewegen und sich entsprechend einseitig informieren. Denn für jede noch so schräge These, für jede noch so krude Theorie existiert irgendeine Plattform, in der man sich austauschen und gegenseitig bestätigen kann. Die Social Media öffnen damit den Fake News Tür und Tor.
Doch war das früher besser? Medien wurden schon immer gerne manipuliert und instrumentalisiert. Ohne die Kraft der bewegten Bilder, ohne die Eingängigkeit gesendeter Worte und ohne die Wirkung geschriebener Botschaften wäre mancher Aufstieg zur Macht vermutlich kläglich gescheitert.
Doch die Nachrichten und Informationen der analogen Medienwelt konnten zumindest (politisch und ideologisch) verortet werden. Sie waren in der Regel nach journalistischen Kriterien aufbereitet und hatten eine gewisse allgemeine Relevanz. Ihre Botschaften wurden am Familientisch, am Stammtisch, im Freundeskreis oft leidenschaftlich diskutiert.
Tempi passati. Wo teilt man sich heute noch frühmorgens die Bünde einer Tageszeitung, um das Geschehen vom Vortag zu reflektieren? Wo lauscht man noch im Familienkreis den Mittagsnachrichten? Wo versammeln sich Jung und Alt, um gemeinsam eine TV-Sendung zu schauen?
Zwar starrt alle Welt wie gebannt auf den Bildschirm. Doch jeder tut das meist nur für sich. Flink tanzen die Daumen über den Screen. Kopfhörer beschallen die Ohren, Bilder fesseln den Blick. Machen uns diese digitalen Möglichkeiten wirklich weiser und glücklicher? Zweifel sind erlaubt. Denn Studien zeigen: Trotz mehr und mehr Vernetzung in sozialen Medien fühlen sich vor allem junge Menschen immer einsamer. Social Media? Manchmal wünscht man sich die alte Zeit zurück.
* Ivo Bachmann ist Geschäftsführer von bachmann medien ag, die auch das Visit redaktionell begleitet. Er war zuvor unter anderem Chefredaktor des « Beobachters » und der « Basler Zeitung ».
Foto Science History Images / Alamy Stock Photo